Knochenaufbau und Zahnimplantate
1. Weshalb kommt es zu Knochenverlust?
Der Knochen zeigt im Vergleich zu anderen Körperzellen analoge Reaktionsmuster. Wird er:
– normal belastet, bleibt er unverändert in seiner Form und Struktur erhalten (steady-state),
– stärker gestresst, nimmt er an Masse zu (er hypertrophiert),
– zu wenig belastet oder ganz ruhig gestellt, nimmt er an Masse ab (er atrophiert).
Für den Kieferknochen bedeutet dies, dass sich die funktionelle Belastung ändert, wenn der Zahn durch Extraktion aus dem Zahnfach (Alveole) entfernt wird. Die natürliche Antwort einer gesunden Alveole nach Zahnextraktion ist der Abbau (Resorption) des Knochens aufgrund natürlicher Umbauprozesse (Remodellation). Als Ursachen für verschieden große Abbauprozesse kommen entzündliche, funktionelle und systemische Faktoren in Betracht. Hierbei handelt es sich um stetig weiterschreitende und irreversible Veränderungen. Zahnextraktion und nachfolgende natürliche Umbauprozesse des Knochens können zu einem massiven Substanzverlust des ehemals zahntragenden Kieferknochens sowohl horizontal als auch vertikal führen. Besonders im Frontzahnbereich kann bereits geringer Knochenverlust durch den nachfolgenden Rückgang des Zahnfleisches die Ästhetik dramatisch beeinflussen. Untersuchungen verschiedener Autoren haben ergeben, dass es nach Extraktion unbehandelt zu einem Knochenverlust von 40 bis 60% in Höhe und Breite im Bereich des ehemals zahntragenden Kieferknochens, des sogenannten Alveolar- oder Kieferkammes kommt. Diese stärkste Resorption von 40-60% findet in den ersten beiden Jahren statt und sinkt danach auf eine relativ konstante Resorptionsrate von ca. 1% pro Jahr bis zum Lebensende.
2. Kann man den Knochenverlust nach Zahnextraktion beeinflussen?
Die Natur macht tragende Teile nur so dick wie unbedingt nötig. Nach Zahnverlust, geht auch die tragende Funktion verloren und der Knochen schwindet. Trotzdem, der Knochenschwund kann beeinflusst werden. Maßnahmen, Knochenverlust des Kieferkammes zu verhindern, werden als kieferkammprophylaktische Maßnahmen bezeichnet. An erster Stelle steht hier die Forderung nach einer schonenden Extraktion des Zahnes, ohne den umgebenden Knochen zu traumatisieren und Knochenverlust zu provozieren. Als Methoden der Kieferkammprophylaxe werden die ,,Kieferorthopädische Extrusion‘‘ (das mit einem Nachwachsen von Knochen verbundene orthodontische Bewegen der Zähne aus der Alveole), das Einsetzen von Implantaten sofort nach der Zahnextraktion „Sofortimplantation“ sowie das Auffüllen der Zahnalveole nach Zahnextraktion mit Biomaterialien (Knochenersatzmaterialien) als sogenannte „Socket- Preservation- Technik“ durchgeführt.
Die Socket- Preservation- Technik ist für die tägliche Praxis interessant, da die Verfahren der Extrusion von Zähnen wie auch die Sofortimplantation infolge bestimmter Voraussetzungen nur in wenigen Fällen angewendet werden können.
In einer Vielzahl von klinischen Studien und Fallberichten wurde in der Vergangenheit histologisch und histomorphometrisch gezeigt, dass das Einbringen von Knochenersatzmaterialien (xenogen, z. B. bovin/ Rind) oder synthetischen Materialien (alloplastisch,
z. B. Hydroxylapatit) in die Alveole und deren Abdeckung das Abbauverhalten des Alveolarkammes positiv beeinflusst. In histologischen Studien wurde festgestellt, dass durch kieferkammpräventive Maßnahmen gleich viel oder vermehrte Knochenneubildung im Vergleich zu unbehandelten Kontrollalveolen entsteht, das eingebrachte Material das Volumen des Knochens hält und Implantate ohne zusätzliche weitere knochenaufbauende Maßnahmen eingesetzt werden konnten.
3. Warum ist Knochenaufbau notwendig?
Der Erhaltbarkeit der vertikalen und horizontalen Dimension des Alveolarfortsatzes nach Zahnentfernung kommt im Rahmen einer geplanten Rehabilitation mit Zahnimplantaten eine übergeordnete Bedeutung zu. Mit der Atrophie des Alveolarknochens verschlechtern sich neben dem ästhetischen Erscheinungsbild die Voraussetzungen für implantologische, als auch für jegliche andere prothetische Folgebehandlungen. Neben dem festen Sitz der Implantate in der für Kronen und Brücken definierten Position, spielen ästhetische Gesichtspunkte in unserer Zeit eine immer größere Rolle. Knochenverlust ist immer mit einem Verlust von Weichgewebe (Zahnfleisch) verbunden. Besonders im ästhetisch sehr sensiblen Bereich der Frontzähne ist eine Erhaltung oder Vermehrung des Volumens von Hartgewebe durch Knochenaufbau sowie die Erhaltung der geschwungenen Architektur der zahnumgebenden Weichgewebe als Voraussetzungen für ein späteres ideales, natürliches Zahnfleischprofil von Bedeutung.
4. Womit erfolgt der Knochenaufbau?
Mit modernen Materialien und einer Vielzahl chirurgischer Techniken können heute auch massive Knochenverluste im Rahmen von GBR- Verfahren (Guided- Bone- Regeneration) wieder aufgebaut werden, um eine stabile Basis für die Implantation zu schaffen. Dadurch können Implantate in prothetisch und ästhetisch optimaler Position gesetzt werden. Während kleinere Knochendefekte größtenteils bei der Implantation innerhalb eines operativen Eingriffs aufgefüllt werden können, bedarf es bei größeren dreidimensionalen Kieferkammdefekten zumeist ein zweizeitiges Vorgehen um in der Phase 1 zunächst Knochen zu regenerieren und in Phase 2 die Implantate einzusetzen. Je nach Lage und Ausmaß des Defektes stehen eine Reihe von geeigneten Materialien (z. B. körpereigener Knochen (autolog), homologer Knochen von einem anderen menschlichen Individuum (allogen), von einer anderen Spezies (xenogen), z. B. bovine Materialien (Rind) oder synthetische Materialien, als körnerförmige Partikel oder als Knochenblöcke, titanverstärkte Membranen und Techniken (horizontale/vertikale Blockaugmentation, Inlay- bzw. Onlaygrafting, Distraktion, Schalentechnik) zur Verfügung. Die verschiedenen Materialien haben für die einzelnen Operationstechniken und Situationen Vor- und Nachteile. Aufgrund der hohen Potenz für die Knochenneubildung ist der eigene (autologe) Knochen immer noch sogenannter Goldstandard, welcher seine höchste Potenz durch die Transplantation von Knochenmarkzellen aus dem Beckenkamm besitzt. Nachteilig zu erwähnen sind der stets notwendige Zweiteingriff zur Gewinnung des eigenen Knochens aus der Kieferregion oder auch dem Beckenkamm, die damit verbundenen Schmerzen, Schwellungen, die eingeschränkte Mobilität des Patienten in den ersten Tagen postoperativ sowie unverhersagbare zum Teil stark auftretende Resorptionen des aufgebauten Knochens während der Einheilphase. Besonders bei der aufwendigen Rekonstruktion dreidimensionaler Kieferkammdefekte sind vorhersagbare, volumenstabile Ergebnisse ohne Resorption als Rechtfertigung für den operativen Aufwand von größter Bedeutung.
Seit einiger Zeit werden alternative Materialien untersucht, um Zweiteingriffe beim Knochenaufbau zu reduzieren. Besonders hervorzuheben sind vor allem menschliche Knochenblöcke, welche meist im Zusammenhang mit Hüftgelenksoperationen einem anderen Menschen entnommen, nach einem speziellen Verfahren aufbereitet werden und als Knochentransplantate für Knochenaufbauten in der Human- und Zahnmedizin als homologer, allogener Knochen zur Verfügung stehen. Dieser Knochen besitzt aufgrund seiner Ähnlichkeit zu körpereigenem (autologen) Knochen eine hohe biologische Qualität und Regenerationsfähigkeit.
5. Zusammenfassung
Zusammenfasssend lässt sich konkludieren, dass der Arzt entscheiden muss, welches Material zum Knochenaufbau für die vorliegende Behandlungssituation von Vorteil ist. Entscheidend ist die Größe des Defektes und die Prognose, dieses Areal volumenstabil und mit großer Stabilität für den Einsatz von Implantaten zu regenerieren. Bei größeren dreidimensionalen Defekten haben körpereigene, autologe Knochenblöcke aus der Kieferregion oder dem Beckenkamm oder Knochenblöcke, welche als Knochenmaterial bei Hüftgelenksoperationen von anderen Patienten entnommen wurden (allogen) gegenüber partikulären, also körnigen Materialien aufgrund ihrer Knochenstruktur, ihres größeren Volumens sowie der vorhandenen höheren Ausgangsstabilität Vorteile. Wichtig ist die Anwendung kieferkammprophylaktischer Maßnahmen, mit welchen massiver Knochenabbau nach Zahnextraktion mit Einsatz von Knochenersatzmaterialien (biologisch oder synthetisch) eingeschränkt werden kann. Der Patient muss alle mit dem Knochenaufbau verbundenen Vor- und Nachteile kennen, bevor er sich für die Therapie entscheidet.